Orgel Stimmen mit dem iPad

Stimmen mit dem iPAD

Das Stimmen einer Orgel ist keine einfache Sache. Je mehr Register und je mehr gemischte Stimmen in dieser Orgel vorhanden sind, desto größere Schwierigkeiten treten auf, weil auch letztendlich der beste Stimmer seine Ermüdungserscheinungen hat und dann Konzertrationsstörungen zu unschönen Erscheinungen führen können und weil die Möglichkeiten der Störung bei größeren Orgel drastisch ansteigen.

Als große Hilfe sehe ich daher Stimmgeräte an, die beim Stimmen ständig eine optische Stütze bieten.

Das beste Gerät das ich bisher fand, war jenes sagenhafte App „Cleartune“, das mir Christhard Rensch empfohlen hat und mit dem ich sowohl als   iPhone- und iPadvariante  immer ein gutes Kontrollorgan bei langen Sitzungen gehabt habe. Die iPad-Variante ist wegen der großen Anzeige und 10stündiger Bereitschaft mein Favorit.  Die iPad-Lösung kostet rund 5 Euro und ist jedem mir bekanntem Stimmgerät in mehrfacher Hinsicht überlegen. Sowohl in der Bandbreite, es kann bis zum c4 eines 1′ gestimmt werden, der Stimmton a kann in 1/10 Hz Schritten eingestellt werden, in Displayansicht und Dauer (über 10 Stunden mit einer Batterieladung ist kein Problem) und ebenso der Präzision durch ein super Mikro, ist diese Technik das Beste was es bisher in diesem Bereich gibt. Vegessen Sie also alle Stimmgeräte, die 500 bis 1000Euro oder mehr kosten. Im iPad schlummern alle Stimmungen, von reinem Phytagoräisch bis zu Werckmeister III. Wer seine Ohren schonen will, kommt bei solchen Orgeln, wie sie Tamburini nach 1950 konzipiert hat, am iPad nicht vorbei.

 ipad.jpg

Ich möchte bei diesem Blog nicht auf die verschiedenen Stimmungen eingehen, obwohl das sicher ein sehr interessantes Thema ist, das auch von dieser Perspektive aus weitere Anreize bieten kann.; aber letztlich ist dieses Thema so umfassend, dass man mehrere Tage und Schreibmaschinenseiten dafür aufwenden kann, ohne es je abschließend behandelt zu haben. Außerdem gibt es hierzu wahrlich umfassendes Material auf dem Internet besonders bei Wikipedia. Leider wird hier sehr viel Mathematik und Tabellenwissen geoffenbart, anstatt die jeweiligen musikalischen Aspekte der verschiedenen Stimmungen zu beleuchten, aber das wird man sicher auch an anderen Stellen finden.

 

Gleichschwebende Stimmung

Wir behandeln hier ausschließlich die „Gleichschwebende Stimmung“ auch „Gleichstufige Stimmung“ oder „gleichstufig temperiert“ genannt. Alle anderen Bezeichnungen für diese Stimmung sind nicht zutreffend.

Bei dieser gleichschwebenden Stimmung sind nur die Oktaven reingestimmt, alle anderen Intervalle sind mehr oder weniger unrein. Ein rein gestimmter  Intervall lässt keine Schwebung mehr zwischen zwei Tönen hören.

Der Abstand zwischen den einzelnen Halbtönen innerhalb der Oktave ist exakt gleich  = 100 Cent.

(siehe hierzu die Tabelle in Wikipedia)

 

Wird also mit dem Stimmgerät „Gleichschwebende Stimmung“ eingestellt und damit sauber und präzise ein Prinzipal 4′ von C-c4 durchgestimmt, so kann man sicher sein, dass alle Oktaven absolut rein gestimmt sind, während Quinten, Quarten, Terzen ihre bekannten Schwebungen haben.

 

Temperaturänderung im Raum

Hinzu kommt, dass bei Änderung der Raum-Temperatur sich die Stimmung verändert. Erhöht sich die Temperatur erklingt die Pfeife in höherer Frequenz und umgekehrt bei niederer Temperatur klingt sie tiefer.

Wir haben mit dem Stimmgerät jedoch die Möglichkeit eine zu gegebener Temperatur gestimmte Pfeife als Stimmton festzulegen und bei Veränderung der Temperatur, das Stimmgerät danach auszurichten.

 

Beispiel: Bei der Stimmung des Prinzipal 4′ haben wir eine Raumtemperatur von 16,5 Grad Celsius und dabei haben wir festgestellt, dass die Pfeife a1= mit  441,6Hz vom Stimmgerät gemessen wird. Mit dieser Stimmung können wir also in der Orgel stimmen, solange die Temperatur 16,5 Grad Celsius beträgt.

Wird nun die Temperatur erhöht auf 17,2 Grad Celsius. So messen wir wieder mit dem Stimmgerät, das nach meiner Aufzeichnung nun 442,5 Hz bei a1 anzeigt. Wir prüfen weitere Töne, um sicher zu gehen, dass wir bei der erhöhten Raumtemperatur die richtige Einstellung am Stimmgerät belassen können. Und sind nun in der Lage, trotz Erhöhung der Raumtemperatur auf exakt der gleichen Stimmung in der Orgel weiter zu stimmen, ohne großartige Berechnungen durchführen zu müssen oder Tabellen heranzuziehen. Alles das kann nämlich auch fehlerbehaftet sein. Wichtig ist, immer mehrere Kontrollen durchzuführen und sehr dynamisch jeden Schritt abzugleichen, dann kann nichts schiefgehen.

 

Weitere Schikanen beim Stimmen

Zu beachten ist, dass wie hier in Santa Cecilia noch weitere Schikanen das Stimmerleben beeinträchtigen können. Wenn nämlich der Motor draußen aufgebaut ist, wo es nachts gefährliche tiefe Temperaturen hat, die nicht von uns messtechnisch beachtet werden können. Hier sind Tabellen und Formelberechnungen hilflos. Während das Messen mit dem Stimmgerät wenigstens teilweise diese Schwankungen mit aufnimmt.

Ein weiterer oft beobachteter Vorgang: der Hausmeister braucht dringend einen Stein für seine Autoreparatur. Er erinnert sich an die vielen (unnötig) auf dem großen Orgelbalg liegenden Backsteine. Er braucht ja nur einen. Der Orgelstimmer kommt am nächsten Tag und bemerkt mit der ersten Probe am Stimmregister, dass das a1 nur 437Hz hat, obwohl die Raum-Temperatur genau wie gestern war. Die Überprüfung der Winddrücke verhindert eine Katastrophe.

 

Stimmgerät und Stimmregister

 Der Prinzipal 4′ des Hauptwerks ist in der Regel das Stimmregister, mit dem alle anderen Register in der Orgel gestimmt werden. Daher wird besonders große Sorgfalt bei Beachtung dieses Registers geschenkt.

Der Prinz.4′ im Hauptwerk wird bei der Stimmung der 75 Registerorgel in Santa Cecilia mehrmals am Tag kontrolliert und gemessen. Wir haben derzeit unheimliches Glück, weil die Temperatur nur wenige Grade Celsius ansteigt.

Da man dieses Stimmregister in den unteren Regionen bei I.Manual und im Schwellwerk kaum als Vergleichsregister heranziehen kann, ist die Hilfe via iPad mehr als willkommen.

Man stimmt also einen Prinzipal 4′ im III.Manual nach der am Stimmgerät eingestellten Tonhöhe und vergleicht dann am Spieltisch den Hauptwerkprinzipal 4′ mit dem Schwellwerkprinzipal 4′ indem man alle vier C-Tasten drückt, III.Manual aufs Hauptwerk im II.Manual gekoppelt. Es darf keine Schwebung hörbar sein. Diesen Vorgang wiederholt man auf allen Tasten bis zum c4.

Nach erfolgreicher Überprüfung hat man ein Stimmregister in diesem III.Manual, das nun ebenso wie der Prinzipal im II.Manual regelmäßig auf korrekten Stand der Stimmung geprüft wird.

 

 

Stimmen verschiedener Register einer Windlade

Das vom Stimmer am weitesten entfernte Register einer Windlade wird zuerst gestimmt, darauf folgt das nächste usw., das letzte Register ist also dasjenige, welches unmittelbar am Stimmgang steht. Dadurch kommen wir nicht in Versuchung ein bereits gestimmtes Register erneut zu touchieren.

Alle 8Fuß-Register stimme  ich direkt und ohne ein Stimmgerät zu benötigen mit dem Stimmregister. Zur Kontrolle steht das iPad an gut übersichtlicher Stelle, weil ich sofort sehe, ob der neu angeschlagene Ton zu hoch oder zu tief ist, auch wenn das Stimmregister dazu geschaltet ist und dominiert. Das ist das Schöne an diesem Stimmgerät, bei dem man übrigens die Nadeldämpfung stärker oder schwächer einstellen kann, je nachdem wie  obertönig das Register klingt.

MIXTUREN : kann man ganz hervorragend mit dem iPad stimmen. Man muss aber beachten, dass bei freigeschalteter Tonsuche, das Gerät die Quinten als Grundtöne ermittelt. Wer dann diese Quinte rein stimmt, stimmt den Mixturton mit Schwebung, weil wir nur die Oktaven rein haben dürfen.

Beispiel: auf c0 haben wir  2 – 1 1/3 – 1 – 2/3, alle 4 Mixturpfeifen sind abgesteckt, man öffnet die Pfeife des 1 1/3′, das Stimmgerät ermittelt das g0. Stimmt man diese Pfeife  nun rein auf das Stimmgerät, so stimmt der Ton  nicht auf das c0, weil wir zwischen c0 und g0 bei der Gleichschwebenden Stimmung bekannte Schwebung haben. Hier hilft folgender Trick. Hinzuziehen des Prinzipal 4′, zuerst stimmt man den 2′ rein zum P4′, dann kann man problemlos die Quinten  aufmachen und weiterstimmen. Das Stimmgerät sortiert die weiteren Pfeifen der Mixtur als Partialtöne, die zum Grundton rein sein müssen, ein.

SESQUIALTER 2 fach und Cornett: auch hier ist wichtig das Terz und Quinte nicht vom Stimmgerät als Stimmton ermittelt werden dürfen, sondern Terz und Quinte sind rein zur gedrückten Taste zu stimmen. Das ergibt feste Centwerte, mit denen man arbeiten kann, das aber auch sehr umständlich sein kann. Deswegen empfehle ich immer bei solchen Stimmen den Stimmprinzipal dazu zuziehen und in den höheren Oktaven die Oktaven der Tasten dazu zu schalten.

 

Zungen stimmen

Zungen sind sehr einfach zu stimmen und haben dabei den Vorteil, dass hier kein Material bewegt wird, das fest mit dem Pfeifenkörper verbunden ist. Daher kann man Zungen sehr gut für Ausbildungszwecke zum Stimmen einsetzen. Aber diese Register sind auch gut dafür geeignet verschiedene Stimmungen auszuprobieren, wie sie dieses Stimmgerät anbietet. So kann man die verschiedenen Pythagoräischen Stimmungen, die mitteltönigen Stimmungen mit reinen Quinten und Terzen testen, oder all die sogenannten „wohltemperierten Stimmungen“ worunter Aron-Neithardt, Barnes’Bach, Fast-gleichschwebend, Kellners Bach, Kirnberger III, Transp. Vallotti/Young, Vallotti, Werckmeister i/III , die Französischen Stimmungen bis Rousseau IV, oder auch selbstprogrammierte Stimmungen erproben.

Es gibt verschiedene physikalische Aspekte, die man mit dem Stimmgerät prüfen und nachvollziehen kann, oder, die einem schlichtweg suspekt sind.

Es ist meiner Meinung nach nicht möglich mit diesem hochkomplizierten Messgerät festzustellen, was sich im menschlichen Ohr ereignet wenn Schwebungen zwischen Tönen stattfinden. Zum Beispiel die berühmte Erzeugung des Grundtones wenn der 2. und 3- Partialton erklingen. Also 10 2/3′ und 16′ erzeugen den Grundton 32′. Das ist auch im kleineren Maßstab 5 1/3′ und 8′ erzeugen den 16′-Ton, mit keinem Meßgerät der Welt erfassbar.

Hier findet im menschlichen Ohr oder psychosomatisch etwas statt, das mit Akustik nur am Rande etwas zu tun hat. Das betrifft übrigens sehr viele andere Dinge, die man beim Stimmen bemerkt und die in der Physik anders benannt werden. So werden zum Beispiel alle Orgelbauer sehr früh gelehrt, dass das Labialwerk sich verstimmen würde, während die Zungen stabiler bleiben. Und da Zungen weniger in der Orgel sind, stimmt man halt diese nach. Aber wer bei einer verstimmten Orgel die Zungen-Oktaven prüft und dann die Labialen-Oktaven, wird eines anderen belehrt.

 

gewalcker@t-online.de

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Tamburini veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.