Grundlagen der klassischen italienischen Orgel und ihre Parallelen in Santa Cecilia

Von Ferdinand Klinda gibt es das hervorragende Buch „Orgelregistrierungen- Die Klanggestaltung der Orgelmusik“ erschienen 1987 in Breitkopf &Härtel, das sich mit der Registrierung und Klanggestalt der italienischen Orgel auseinandersetzt. Jedenfalls habe ich bisher noch nicht so klar und verständig über diese Thematik gelesen. Daher möchte ich diesen Auszug hier zeigen. Er ist begleitet von einigen Anmerkungen meinerseits, die sich natürlich mit unserer Erfahrung an der Tamburini-Orgel in Santa Cecilia ergänzen, eine Orgel, die der berühmte Organist und Orgelpädagoge Fernando Germani im Jahre 1964 mit der Orgelbaufirma Tamburini gestaltete. Mit Sicherheit nicht ohne diese historischen Erkenntnisse verwertet zu haben
Hier Originaltext Ferdinand Klinda (vereinzelte Worte wie Jahrhundert in JH abgekürzt)
Seite 39 Kapitel 12

Registrierungen italienischer Orgelmusik des 16. bis 19.Jahrunderts – Ferdinand Klinda
Die Entwicklungsgeschichte der italienischen Orgel zeichnet sich durch eine große Beständigkeit und durch ein Festhalten an traditionellen Orgelprinzipien aus. Bereits in der ersten Hälfte des 16.JH erreichte die italienische Orgel ihre typische Gestalt und behielt sie fast unverändert bis ins 19.JH. Es ist eine sogenannte Reihenstil-Orgel, die durch Aufspaltung des Blockwerks in einzelne spielbare Registerreihen entstand.
16. und 17.Jh
Die italienischen Orgeln im 16. und 17.JH sind überwiegend einmanualige Instrumente mit oder ohne Pedal. Den Hauptbestand der Register bilden Prinzipalstimmen in Oktavlagen und Quintlagen (ab 1 1/3′) in einfacher Besetzung, die zusammen gezogen das Ripieno (Pleno) ergaben und bezeichnenderweise „registri d’organo“ genannt wurden. Als „registri da concerto“ wurden ein bis zwei offene Flötenstimmen in 4′- oder 2′ Lage und die Voce umana (oder Piffaro) disponiert, eine Prinzipalreihe, die um zwei bis drei Schwingungen höher gestimmt wurde (bei Orgeln der venezianischen Schule jedoch tiefer!) und die zusammen mit dem Grundprinzipal eine milde, sehr charakteristische Schwebung erzeugt.
(ANM 01 – hier möchte ich einen Kommentar einfließen lassen, der sich auf die Voce celeste 8′ des III.Manuals in Santa Cecilia bezieht. Denn diese Stimme ist, wie auch der Fiffaro 8′ im II.Manual eine solche schwebende Stimme, in jedem Falle höher gestimmt, wie sie hier von Klinda beschrieben ist. Man kann diese Schwebung nicht so langsam stimmen, wie wir das auch von den deutschen Schwebungen her gewohnt sind. Die Schleifladen und die hier vorliegenden „Anziehungskräfte“ erlauben das nicht. Würde man beginnen die kleine Oktave so langsam zu trimmen, wie das hier beschrieben ist, und wie wir es von unseren Vox coelesten her gewohnt sind, käme bereits bei kleinsten Temperaturverschiebungen wieder ein Stillstand zwischen den beiden Registern zustande. Beachtet werden muss auch der Umstand, dass die schwebende Stimme halbwegs in sich selbst gestimmt sein soll, was heißt, ich überprüfe sie oktavenweise auf Stimmung in sich und auch hier sind im oberen Bereich starke physikalische Kräfte, die minimale Verstimmung-Schwebung, aufzuheben oder auszugleichen. Daher sind die Schwebungen bei Schleifladen oben immer zu schnell. gwm)
(ANM02 zu Ripieno – wir sehen also, dass das Ripieno nicht einfach als „Mixtur“ übersetzt werden darf)

Das typische Schema der klassischen italienischen Orgel lautet:
Principale                       (8′)
Ottava oder VIII              (bedeutet um 8 Untertasten höher klingend=4′)
Quinta decima oder XV     (um 15 Untertasten höher= 2′)
Decimanona oder XIX       (um 19 Untertasten höher= 1 1/3′)
Vigesima seconda XXII    (um 22 Untertasten höher = 1′)  
Vigesima sesta XXVI        (um 26 Untertasten höher = 2/3′)
Vigesima nona XXIX         (um 29 Untertasten höher = 1/2′)
Trigesima terza XXXIII     (um 33 Untertasten höher = 1/3′)
Trigesima sesta XXXVI     (um 36 Untertasten höher = 1/4′)
Flauto in quintadecima XV (2′)
Flauto in ottava VIII         (4′)
Voce umana                    (8′)

Contrabassi pedale           (16′)
Cornamuse (regalartige Zungen 8′) selten

Im italienischen Orgelbau werden Fußtonbezeichnungen nicht verwendet. Stattdessen bezeichnet man mit Worten oder römischen Zahlen den Abstand der Untertasten vom Grundklang.
Der Grundprinzipal – Principale genannt –  klingt immer im 8′-Ton und wurde oft in Principale bassi und Principale soprani geteilt, war also in Baß und Diskant separat spielbar. Die Ladenteilung war verschieden, sie lag meist zwischen c1 und cis1 (wie im Spanischen Orgelbau) bei der venezianischen Schule zwischen d1 und dis1, manchmal auch zwischen a und b. Der normale Klaviaturumfang lag im 16.JH zwischen C und a2, später dann C-c3, mit kurzer tiefster Oktave, also 45 Tasten; einzelne Instrumenten gingen bis d3 (47 Tasten). Größere Orgeln hatten auch größeren Klaviaturumfang, und zwar fünf Oktaven, 57 bzw. 59 Tasten, indem man zur Tiefe hin erweiterte. Die Klaviatur wurde um eine Oktave verlängert. Allerdings hatte die meisten dieser Orgeln einen realen Umfang, der erst bei Kontra-F begann; die drei Töne C,D,E darunter waren von der nächsten Oktave angehängt, sie repetierten hinunter. Die tiefste Pfeife des Principale hätte dann 12′-Länge, und am tiefen Ende der Klaviatur spielten diese Töne:
        D      E      B1           Cis    Dis
C  F1    G1    A1     H1    C      D     E  etc.

Noch größere Orgeln, deren Prinzipale wir als 16′ bezeichnen würden, hatten dieselbe Klaviatur, darüber hinaus aber drei tiefe Töne mehr im Baß0, nämlich C1, D1, E1, also eine real klingende Kontraoktave.
Durch den größeren Klaviaturumfang gewinnen die Orgeln einen größeren Tonumfang, doch keinesfalls eine Registerreihe in er Unteroktave, wie z.B. im deutschen Orgelbau die 16′-Stimmen.
Disponiert und gespielt wurde immer auf der Grundlage des 8′-Grundklanges.
(ANM03, dieser Umstand ist uns bei der 4manualigen Tamburini-Orgel in Santa Cecilia unmittelbar aufgefallen: die Orgel mit rund 75 Registern basiert im Hauptwerk auf einem 8’Register, alles andere, wie der Prinzipal 16′ sind so schwach intoniert (Winddruck um 48mmWS) dass sie nicht als Basis des Manuals erkannt werden, sondern eher, als forciertes Bordunregister)
Die Erweiterung der Klaviatur zur Tiefe hin bedeutete eine Bereicherung der Spielmöglichkeiten und des Tonumfangs der Orgel. Für das Manual und zugleich für das Pedal brachte dies den klanglich willkommenen Bass Bereich, außerdem Möglichkeiten des Lagenwechsels, Verlegung der Stimmen usw., wie es die Alte Spielpraxis zuließ. Keinesfalls war damit eine Verdichtung, Verdunkelung oder Gravität des Klanges beabsichtigt. Man beachte dies gut bei den Registrierungen, um Missverständnissen auszuweichen, die manche Lehrbücher aus den unrichtigen Bezeichnungen 12′- oder 16′ Prinzipale ableiten. Durch die Länge der Klaviaturen ergibt sich eine für Mitteleuropa ungewöhnliche Verschiebung der Klaviaturmitte (c1) nach rechts was eine Verlagerung der Pedalklaviatur zur Folge hat.
Die Pedale der kleinen Orgeln besaßen nur sechs, acht oder neun Tasten, größere Orgeln hatten Pedale mit siebzehn, achtzehn und mehr Tasten, die kurz und schräg waren.
Die Pedaltasten waren an das Manual fest angehängt und spielten die tiefsten Manualtöne mit.

Ein wesentliches Merkmal der italienischen Registrierungen sind die Zusammensetzungen und der Klang der Ripienos, die gegenüber den Mixtur-Orgeln grundverschieden sind.
Die Chöre der Ripienos, prinzipalische Oktaven und Quinten, sind als Einzelregister gebaut und nur einfach besetzt – sie ermöglichen eine separate Benutzung und ein Variieren des Ripieno -Klanges. Es gibt auch keine regelmäßigen  Oktavrepetitionen der üblichen Mixturbauart, sondern die Einzelreihen der Aliquoten sind durchlaufend und repetieren jeweils erst an ihrer Tongrenze(c5), in der Regel die Quinten auf fis, die Oktaven auf cis. Der Tonumfang der Pfeifen des Ripienos ist beiderseitig begrenzt: Es gibt keine tiefe Quint 5 1/3′, und die kleinsten Pfeifen haben das Fußmaß 1/8′
Während bei Mixturen (Scharf, Zimbel) die Repetitionspunkte regelmäßig verteilt sind, nimmt beim Ripieno ihre Zahl in der Höhe zu; in der tiefen Lage kommen keine Repetitionen vor, in der mittleren wenige, in der hohen zunehmend mehr. Die hohe Lage verliert an klangspektraler Breite, wird aber mehrchörig. In der Tabelle 6 sind diese unterschiedlichen Verhältnisse schematisch dargestellt.
klinda01.jpg

(ANM04, die hier von Klinda angesprochenen Ripieni haben wir in der Tat bei der 1964 von Tamburini gebauten Orgel im Hauptwerk und im III.Manual so angetroffen. Besonders im III.Manual wurde festgestellt, dass diese Mixturen ab c2 kaum dauerhaft gestimmt werden können, denn bei einer Zusammensetzung von  2- 2 – 2- 2 2/3 – 2 2/3 bei c3-g3 kann man sich vorstellen wie hier eine eingeschaltete Superkoppel wirkt. Der Umstand, dass die Pfeifen relativ gleichmäßig mensuriert wurden und die Pfeifenfusslängen nicht unterschieden wurden, begünstigt auch hier das Anziehen und Abstoßen der Frequenzen beim Stimmen. Das Fehlen der Klangkrone wird allerdings durch die separaten Einzelstimmen aufgehoben. Insofern wird auch eine Orgel mit solchen Ripieni, die im Prinzipalpleno recht blass klingt, durch das Dazuschalten von 2 2/3- 2 – 1 1/3 – 1 3/5- 1 und eventuell Sesquialter auch im Tutti noch eine krönende Wirkung erzielen.)

Von den Meistern des 17.JH stammt der Brauch, die Pfeifen des Ripienos (ab XV aufwärts) einheitlich zu mensurieren, und zwar im Maß der Ottava (VIII), welches etwas geringer war als das des Principale. Die venezianischen Meister bauten alle Pfeifen des Ripienos in der Prinzipalmensur.
Die Zahl der zum Ripieno gebauten Reihen war verschieden und hing von der Größe der Orgel ab. Kleine Orgeln begnügten sich mit dem Aufbau bis zum XIX (1 1/3′), die größten klassischen Orgeln besaßen Reihen bis zum XXXVI (1/4′). Bis zum Ende des 18.JH und später wurde sogar bis zum XLII (1/8′) ausgebaut.
Während im älteren Orgelbau als höchste Reihe des Ripienos eine Quinte gebaut wurde, bürgerte sich von 18.JH an die Regel ein, mit einer Oktave abzuschließen. In manch größerer Orgel wurden hohe Ripieno-Reihen zu je zwei auf einem Registerzug zusammengeschlossen. (Weswegen wir es in Santa Cecilia im Hauptwerk mit einer 9fachen Mixtur zu tun haben)
(gewalcker@t-online.de)

 

 

 

 

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Eine Antwort zu Grundlagen der klassischen italienischen Orgel und ihre Parallelen in Santa Cecilia

  1. Digedag sagt:

    Ist Ottava nicht eine Stadt in Kanada …? ^^

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